Wenn die Organisation schrumpft das Vertrauen der Bleibenden stärken!
Diejenigen, die nach einem Personalabbau in einer Organisation zurückbleiben, sind die sogenannten Bleibenden. Im wissenschaftlichen Diskurs werden Sie häufig auch als Survivors bezeichnet. Sie sind ebenfalls direkt vom Personalabbau betroffen. Sie verlieren beispielsweise einen langjährigen Arbeitskollegen und/oder eine Freundin oder sollen die Aufgaben ihres Kollegen oder ihrer Kollegin im Team übernehmen und die neuen Ziele und Visionen der Organisation in Zukunft mittragen.
An diesen Beispielen lässt sich bereits erkennen, welche Bedeutung dieser Gruppe im Trennungsmanagement zukommt. In einer Untersuchung von Tomasko[1] (1993) bei über 1000 amerikanischen Firmen, die Personal freisetzten zeigte sich, dass von 90% der Organisationen, die Kostenreduktion zum Ziel hatten, nur 50% dieses Ziel erreichten. 75% strebten eine Produktionssteigerung an und nur 22% erreichten diese auch. 50% dieser Organisationen wollten ihre Hierarchie verflachen und Entscheidungswege verkürzen und nur 15% schafften eine tatsächliche Verbesserung in diesem Bereich. Die Reaktionen der Bleibenden sind maßgeblich dafür verantwortlich, ob die zukünftigen Ziele/Visionen, die die Organisation mit einem Personalabbau verfolgt, auch erreicht werden können.
Die Vertrauenswürdigkeit des Top Managements spielt eine entscheidende Rolle
Sie hängt davon ab:
- inwieweit es (das Top Management) Entscheidungen im Sinne der
MitarbeiterInnen trifft und nicht im Sinne eigener Interessen;
- von der wahrgenommenen Kompetenz des Top-Managements;
- von der Offenheit und Zuverlässigkeit des Top-Managements;
Natürlich spielen in dieser Hinsicht viele Handlungen und Entscheidungen, die in Vergangenheit vom Top-Management getroffen wurden und die zu diesem Zeitpunkt unveränderbar sind, eine große Rolle. Je größer jedoch das Vertrauen in das Top-Management ist und je mehr Fairness und Gerechtigkeit zu erwarten sind, desto weniger bedrohlich wird ein Personalabbau von den Bleibenden wahrgenommen und mit desto konstruktiveren Reaktionen ist zu rechnen. Erwiesenermaßen[2] erhöht ein Bonusverzicht des Top-Managements im Falle von Personalabbau die Fairnesswahrnehmung bei allen Beteiligten (Betroffene – Bleibende – Öffentlichkeit).
Im zweiten Schritt seiner/ihrer Bewertung schätzt der/die MitarbeiterIn ein, welche Ressourcen ihm/ihr zur Verfügung stehen, um mit dem bevorstehenden Personalabbau umzugehen und keinen persönlichen Schaden zu nehmen. Diese Einschätzung beruht einerseits darauf, wie selbstbestimmt der/die MitarbeiterIn sich im Prozess wahrnimmt, und andererseits darauf, welche Veränderungen in Bezug auf seinen/ihren Arbeitsplatz zu erwarten sind.
Sehr oft sind Personalabbauprozesse davon begleitet, dass sich MitarbeiterInnen hilflos und überfordert fühlen. Die „Selbstbestimmung“ geht also verloren und sie fühlen sich nur mehr als Passagiere auf einem Floß, dessen Richtung sie nicht mitbeeinflussen können. Unter diesen Umständen häufen sich auch passive und destruktive Reaktionen. Gelingt es selbstbestimmt zu bleiben, sind auch konstruktivere Reaktionen zu erwarten.
Eine Standardformel dafür wie Selbstbestimmung gefördert wird, gibt es nicht. Üblicherweise werden in Veränderungsprozessen Entscheidungskompetenzen verstärkt zentralisiert. Das führt zum Beispiel zu weniger Selbstbestimmung bei den jeweiligen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und hat zumeist auch destruktive und passive Reaktionen zur Folge.
Ein Beispiel zur Steigerung der Selbstbestimmung ist folgendes: Die Bleibenden übernehmen meist die Aufgaben der Betroffenen. Wenn sie dann durch Schulung und Training ihre Kompetenz steigern können, steigt auch die wahrgenommene Selbstbestimmung und das fördert wiederum aktivere und konstruktivere Reaktionen. Vergrößert sich hingegen ihr Aufgabenbereich ohne dass sie Unterstützung bekommen, fühlen sie sich damit überfordert und die wahrgenommene Selbstbestimmung sinkt, was zu gegensätzlichen Reaktionen führen kann.
In jedem Fall ist die direkte Führungskraft gefragt. Sie kann die Reaktionen der Bleibenden tagtäglich beobachten und gegebenenfalls reagieren. Die Zuziehung eines externen Coachings ist in diesen Fällen eine hilfreiche Alternative, gerade wenn es um die Stärkung von Ressourcen und die Förderung von Selbstbestimmung geht.
Abschied nehmen, um gut weiterzugehen
Eine weiterer Punkt im Hinblick auf die Bleibenden ist, dass im Falle eines Personalabbaus eine oder mehrere Personen das bestehende Team verlassen müssen. Diese MitarbeiterInnen haben in der Vergangenheit ihre Leistung und ihre Kompetenz in der für sie typischen Art und Weise in das Team eingebracht. Das bedeutet, es gilt auch den erbrachten Einsatz anzuerkennen und zu würdigen. Es ist in diesem Fall auch überhaupt nicht wichtig, ob der/die MitarbeiterIn ein High- oder Low-Performer oder ob er/sie beliebt war oder nicht. Er/sie war Teil des Systems, das ist das Einzige, was in diesem Fall zählt. Bleibt diese Anerkennung/Würdigung verwehrt, so kann dies im Team noch lange nachwirken und die zukünftige Performance leidet unter nicht ersichtlichem Grund darunter.
Würdigung und Anerkennung kann die Führungskraft zum Beispiel in einem letzten gemeinsamen Meeting dem Betroffenen aussprechen, indem sie die Highlights der gemeinsamen Zeit im Team nochmals Revue passieren lässt. Die MitarbeiterInnen können zum Beispiel ein Trennungsessay gestalten und es dem/der Betroffenen übergeben. Solche Rituale ermöglichen einen guten Abschied. Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass durch den Abgang eines oder mehrerer MitarbeiterInnen im System ein“ leerer Platz“ entsteht.
Um gut neu zu starten, ist es wichtig, den Bleibenden die Möglichkeit zu geben, diesen „leeren Platz“ auszufüllen. Anfangs kann das noch schwer zu beantworten sein, was an diese Position hinkommen kann. In diesem Fall kann es hilfreich sein, wenn sich der/die Betroffene selbst daran beteiligen und Vorschläge machen kann. Derartige Prozesse sind jedoch professionell im Rahmen eines Survivor Empowmerments zu begleiten.
Mehr zu diesem Thema lesen Sie in meinem Buch Menschen fair behandeln – Professionelles Trennungsmanagement & New/Outplacement sowie bei unseren unterschiedlichen Seminaren zum Thema Trennungsmanagement.
Mit besten Grüßen
schönen Tag!
Michael Hanschitz
[1] Tomasko Robert M., in Rethinking the Corporation: The Architecture of Change,
New York 1993
[2] Struck, Stephan, Köhler, Pfeifer, Sohr, in Arbeit und Gerechtigkeit, Wiesbaden 2006
Kontakt
Mag.(FH) Michael Hanschitz
+43 1 997 80 74
mh@outplacementberatung.co.at
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